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Freunde, die Kaffee trinken

Freund ist nicht gleich Freund​

Woran erkenne ich falsche Freunde und was macht echte Freunde aus?

Diese und ähnliche Fragen höre ich häufig von Klientinnen. Hintergrund ist meist eine gewisse Frustration, ein Störgefühl oder eine wachsende Unzufriedenheit in bestehenden freundschaftlichen Beziehungen bis hin zu kräftezehrenden Streitereien und Zerwürfnissen.

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zuerst den Blick auf die Person selbst, die diese Frage stellt, richten und dem was sie an Strukturen und Prägungen mitbringt. Viele Menschen haben in ihrer Kindheit Entwicklungstrauma mit Bindungsstörungen erlebt und stellen in einer neuen Bekanntschaft entweder zu schnell zu viel Nähe her oder sie kommen aus dem Misstrauen oder der Prüfung des Gegenübers nicht heraus.

Wenn Sie zu Letzteren zählen, dann ist es für Sie wichtig bei sich selbst zu schauen, wie lange Ihr Prüfungsverhalten anhält. Wenn Sie sich einmal für jemanden als Freund entschieden haben, neigen Sie dann trotzdem dazu bei jedem Fehlverhalten und Unstimmigkeit die gesamte Freundschaft in Frage zu stellen?

Zu schnell Nähe herzustellen und zum Beispiel seinem Gegenüber bei den ersten Treffen seine gesamte Lebensgeschichte zu offenbaren, ist ebenfalls keine gelungene Art eine gesunde Beziehung aufzubauen. Die Gegenbewegung beim Gegenüber kann dann wegen Überforderung der Rückzug sein.

Natürlich gibt es keinen Leitfaden dafür wie man gute Freundschaften gestaltet und woran genau man einen guten Freund erkennt. Aber es gibt Eckpfeiler, an denen sich vor allem Menschen mit Bindungsstörungen, denen es schwer fallen kann gesunde Beziehungen zu gestalten, orientieren können:

 

Grundsätzlich gilt, wenn Sie sich während und vor allem nach dem Kontakt mit diesem Menschen gut fühlen und sich auf weitere Treffen freuen, dann ist dies ein Hinweis Ihres Inneren, dass Ihnen dieser Kontakt guttut.

Gerade für bindungstraumatisierte Menschen ist es wichtig darauf zu achten, dass die von ihnen gewählten "Freunde" emphatisch sind, sich auf sie einstimmen können, zuhören und sich für sie interessieren und vor allem vertrauenswürdig sind. Denn genau an diesen Stellen sind Menschen mit Bindungstraumata besonders verletztlich.

Folgende Eigenschaften sind Anzeichen für eine ungesunde, wenn nicht sogar toxische, Freundschaft:

- Mangelnde Loyalität: Wenn der Freund, die Freundin mit anderen schlecht über Sie redet oder private Geheimnisse an Dritte weiterträgt. Achten Sie bei Menschen, die Sie gerade kennenlernen darauf, wie diese über andere Freunde sprechen. Wenn intimste Geheimnisse anderer Freunde von diesem an Sie weitergetragen werden, können Sie fast davon ausgehen, dass Ihr Gegenüber es mit Werten wie Loyalität nicht so ernst nimmt und möglicherweise auch private Informationen über Sie weiterträgt.

- Mangel an Einfühlungsvermögen: Wenn Ihr Freund, Ihr Freundin Ihre Sorgen und Ängste nicht ernst nimmt und oberflächlich abtut. Gerade Menschen mit Entwicklungstrauma, denen es in ihrer Kindheit an ausreichend eingestimmtem und emphatischen Verhalten ihrer engsten Bezugspersonen mangelte, verursacht ein solches oberflächliches Verhalten besonders schmerzhafte emotionale Flashbacks.

- Ständige Kritik und Bewertung: Der Freund, die Freundin kritisiert Sie ständig oder bewertet das was Sie tun und Sie gewinnen nach und nach den Eindruck Sie würden geprüft und/oder seien nicht gut genug. Hier ist besondere Vorsicht angebracht, denn dies können Verhaltensweisen eines toxischen (ggf. sogar narzistischen) Menschens sein.

- Nur für gute Zeiten: Wenn der Freund, die Freundin in schwierigen Zeiten nicht für Sie da ist, kein Interesse zeigt und keine Unterstützung anbietet. Dann kann von Freundschaft nicht die Rede sein, allenfalls eine oberflächliche Bekanntschaft.

- Mangel an Reziprozität (Gegenseitigkeit): Hierunter fallen Kontakte in denen die Betroffenen ausgenutzt werden. Der Freund, die Freundin nimmt ausschließlich und ist aufgrund einer großen Bedürftigkeit oder einer narzistischen Tendenz heraus nicht in der Lage etwas zurück zu geben. Es herrscht ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen (Häufiges Ausweinen bei Ihnen, Sie fungieren als Seelsorger, häufig um materielle Gefälligkeiten bitten oder solche wie selbstverständlich annehmen zB. die gebrauchte Kleidung für die Kinder, das Hinfahren oder Abholen, Geld leihen,... )

Der Marker, der ziemlich genau anzeigt, wann es zu sehr in Schieflage gerät ist Ihr steigender Unmut.

- Neid und Eifersucht gehören nicht in eine Freundschaft. Damit ist nicht gemeint, dass Ihr Freund, Ihre Freundin sich nicht ähnliches für sich wünschen darf, gemeint ist hier, wenn er oder sie Ihnen nichts Gutes gönnt und sich nicht mit Ihnen an Ihren Erfolgen freuen kann.

- Egozentrik: Ihr Freund nutzt Sie ständig als "Großes Ohr" und stellt Forderungen: zB.: werden in aller Ausführlichkeit dessen Themen oder Probleme geschildert. Sie sollen sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung stillen, ihm zustimmen und ihn bewundern. Was Sie selbst zu sagen haben scheint unwichtig, er wendet sich ab, guckt ungeduldig in der Gegend herum oder schaut auf dem Handy oder Smartwatch nach.

Menschen mit Bindungstrauma haben häufig (nicht immer!) unter einem Elternteil mit einer narzistischen Persönlichkeitsstörung gelitten. Leider besteht die Gefahr, dass die Betroffenen auch im Erwachsenenleben immer wieder Menschen zu nahe an sich heran lassen, die ähnliche Strukturen aufweisen. Wenn Sie sich also nach einem Kontakt mit einem solchen Freund erschöpft, traurig, enttäuscht etc fühlen, dann schauen Sie genauer hin: Was genau hat Sie verletzt? Und von wem wurden Sie in der Kindheit ähnlich behandelt oder fühlten ähnlich? 

- Mangel an Respekt und Distanzlosigkeit: Auch dies sind Merkmale "toxischer" Menschen. Wenn Ihr Freund Ihr Nein und Ihre Wünsche nicht respektieren kann oder will, dann ist Abstand geboten.

Wenn Sie sich häufig nach Treffen mit einem "Freund" schlecht fühlen (soll heissen: ausgelaugt, überreizt, verärgert, traurig, einsam) ist es ein deutliches Zeichen, dass dieser Mensch Ihnen nicht guttut. Trauen Sie Ihrer eigenen Wahrnehmung! Dies ist gerade für bindungstraumatisierte Menschen wichtig und gleichzeitig ist es so schwer für sie. Vielen wurden ihre Gefühle als Kinder abgesprochen, sodass es Ihnen als Erwachsene schwer fällt ihren eigenen inneren Bewegungen/Wünschen/Bedürfnis Glauben zu schenken. Die Betroffenen dürfen sich also selbst eine extra große Portion Aufmerksamkeit schenken, um nach und nach zu lernen mit welchen Menschen es sich stimmig anfühlt und von welcher Art Menschen sie am besten Abstand halten sollten.

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