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Wo fängt emotionaler Missbrauch an?

An dieser Stelle möchte ich Licht auf ein Thema richten, das gesellschaftlich gern übersehen wird und noch öfter "schön" geredet wird. Es handelt sich um emotionalen Missbrauch von Kindern. Und ja, leider ist dies noch immer aktuell und hat für die betroffenen Kinder erhebliche Auswirkungen, die sich zum Teil schon in jungen Jahren, oft aber erst im Erwachsenenalter deutlich zeigen.

Dieses Thema liest sich nicht sehr angenehm und mag für den einen oder anderen Leser sogar Trigger enthalten. Also prüfen Sie für sich selbst, wie es Ihnen mit der Lektüre geht und erlauben Sie sich jederzeit, diese Seite zu schließen.

Al­le El­tern wol­len nur das Bes­te für ih­re Kin­der. Sie han­deln nach bes­ten Wis­sen und Ge­wis­sen. Gut gemeint ist aber leider nicht immer auch gut gemacht.

Trotz der besten Absichten kann es pas­sie­ren, dass El­tern sich auf­grund man­geln­der Kennt­nis­se oder viel häufiger auf­grund ei­ge­ner be­las­ten­der Er­fah­run­gen aus ih­rer eigenen Kind­heit und nicht reflektierten Mustern sowie dem was sie selbst über das Elternsein gelernt haben, ih­rem Kind ge­gen­über in ei­ner Wei­se ver­hal­ten, die dem Kind schadet.

Neben der offensichtlichen körperlichen Gewalt und dem sexuellen Missbrauch von Kindern, gibt es noch eine weitere Kategorie von Gewalt bzw. Missbrauch an Kindern. Und zwar dem emotionalen Missbrauch.

Emotionaler Missbrauch von Kindern ist eine Form von Kindesmissbrauch, bei der das emotionale Wohlbefinden und die psychologische Entwicklung eines Kindes durch wiederholte und systematische Verhaltensweisen der Eltern oder Betreuer geschädigt werden. Diese Art von Missbrauch kann schwer zu erkennen sein, da sie zum Teil immer noch gesellschaftlich übliche Umgangsformen sind und keine sichtbaren körperlichen Spuren hinterlässt. Die emotionalen und psychischen Auswirkungen können allerdings tiefgreifend und langfristig sein.

Diese Form der Gewalt zeigt sich u.a. in häufiger bis ständiger Abwertung und Kritik: Das Kind wird regelmäßig kritisiert, beschimpft, herabgesetzt oder gedemütigt.

Ferner:

Ignorieren und Vernachlässigen: Die emotionalen Bedürfnisse des Kindes werden ignoriert, das Kind wird emotional vernachlässigt und bekommt keine Zuwendung, Liebe oder Anerkennung.

Übermäßige Kontrolle und Manipulation: Das Verhalten des Kindes wird durch Schuldgefühle, Angst oder andere manipulative Taktiken kontrolliert.

Isolierung: Das Kind wird von Freunden, Familie oder anderen sozialen Kontakten isoliert, was seine soziale Entwicklung behindert.

Unrealistische Erwartungen und Perfektionismus: Das Kind wird ständig unter Druck gesetzt, unrealistisch hohe Erwartungen zu erfüllen, was zu Stress und Angst führt.

Zeugen von Gewalt: Das Kind muss regelmäßig Gewalt zwischen anderen Familienmitgliedern beobachten, was sein Sicherheitsgefühl und sein emotionales Wohlbefinden stark beeinträchtigt.

Ganz vorne steht in dieser Auflistung die ständige oder häufige Abwertung und Kritik des Kindes bis hin zu Beschimpfungen und Herabsetzungen. Auch Manipulation und Kontrolle der Kinder finden wir häufig. Eltern manipulieren das Verhalten des Kindes durch Schuldgefühle, Angst oder übermäßige Kontrolle. Leider ist dies in einigen Familien im Sinne eines funktionalen Familienalltages noch immer an der Tagesordnung.

Ursache ist häufig die eigene unreflektierte emotionale Schieflage des Elternteils. Es gibt leider Eltern, die ihre eigenen hohen Erwartungen und ihren unreflektierten Perfektionsanspruch auf ihre Kinder übertragen. Diesen Erwachsenen fällt es schwer ihr Kind in seinem eigenen Sein mit seinen ganz eigenen Interessen und Grenzen zu sehen, es anzunehmen und so zu lieben wie es ist. Die psychischen Folgen für die betroffenen Kinder sind erheblich, denn sie sind gezwungen ihre eigenen Bedürfnisse abzuschneiden und zu unterdrücken.

Manche Menschen reagieren ihre Unzufriedenheit und ihre aufgestauten Aggressionen an ihren Kindern ab, denn Kinder eignen sich hierfür besonders. Denn das Kind wird sich, um die Bindungsbeziehung zum Elternteil zu schützen, nicht oder nur wage wehren. Kinder haben noch nicht die Fähigkeit das Handeln ihrer Eltern kritisch zu betrachten. Noch viel weniger können vor allem jüngere Kinder dysfunktionale Familien verlassen. Für Kinder sind Eltern die Welt. So wie sie von ihnen behandelt werden, so nehmen sie sich selbst wahr und so erscheint ihnen die Welt da draußen. Jedes Elternteil sollte sich dieser Abhängigkeit bewusst sein, denn mit ihr geht große Verantwortung für das junge Leben einher.

Kommen wir zu den Folgen ständiger Kritik, Beschimpfungen, Herabsetzungen, Kontrolle & Vernachlässigung. Diese lassen das Kind glauben, dass es selbst wenig Wert hat, im Kern falsch ist und nie etwas richtig machen kann, ein Gefühl von Hilf- und Machtlosigkeit stellt sich mit der Zeit ein, oft gefolgt von Resignation und das sehen wir in der Therapie häufig: äußerst angepasstem und funktionalem Verhalten. Die Folge ist häufig die Entwicklung eines hohes Leistungsanspruches an sich selbst und oft auch im Erwachsenenalter das Gefühl nie gut genug zu sein, was mit einem hohen Risiko für depressive Episoden im Erwachsenenalter einhergeht.

Aber wo fängt für das Kind schädliche Abwertung, Kritik & Herabsetzung an? Die Grenzen sind fließend.  Wie häufig erleben wir leider in der Gesellschaft Eltern, die ihre Kinder noch immer wenig reflektiert kritisieren, negativ über diese im Beisein der Kinder sprechen, eine bestimmte Vorstellung von dem haben wie "ihr" Kind zu sein hat und auf von den Eltern abweichende Ansichten, Wünsche und Verhalten mit harscher Bewertung und strafenden Konsequenzen antworten.

Noch immer gibt es Eltern, die ihre gerade einmal 2 oder 3 jährigen Kinder aus erzieherischen Gründen über längere Zeit alleine in einen Raum einschließen und diese erst wieder herauslassen, wenn die Kinder wieder "lieb" sind.

Auch wenn viele Eltern dies nicht wahrhaben wollen, und auch wenn es vielfach noch praktiziert wird, dies sind Formen emotionaler Gewalt, die Kindern sehr schaden können.

Oft reagiert das Kind nach einer gewissen Zeit mit Resignation und angepasstem Verhalten, Wut und Gegenwehr der Kinder verebben. Viele Eltern verbuchen dies nun als erzieherischen Erfolg, dass das Kind nun verstanden hat, worum es geht. Dies kann, muss aber nicht. Denn wie das Kind das Erlebte emotional verarbeitet, ist von außen in der Regel nicht zu erkennen.

Es ist mir ein Bedürfnis dies hier sodeutlich zu benennen, denn die Kinder haben so gut wie keine Hilfe in solchen Situationen. Es ist ein trauriges Phänomen. Und selbst wenn umstehende Erwachsene, Verwandte oder Freunde und Bekannte der Eltern schwierige Situationen miterleben, wer hat denn wirklich den Mut etwas zu sagen? Ich wage zu behaupten, selbst wenn viele ein Störgefühl haben, so schauen die meisten weg, fühlen sich nicht zuständig und wollen sich nicht "einmischen". Für die Kinder, die natürlich merken, dass ihnen von Umstehenden nicht beigestanden wird, ist dies noch einmal zusätzlich Bestätigung, dass mit ihnen etwas nicht stimmt und sie es nicht wert sind, dass ihnen beigestanden wird.

Kinder haben einen Recht darauf, liebevoll und wertschätzend behandelt zu werden. Ich möchte jedem Elternteil, das sich an dieser Stelle"ertappt" fühlt, dringend ans Herz legen, an sich zu arbeiten. Und wenn es nicht die Aufarbeitung der eigenen Prägungen ist, so gibt es doch zahlreiche sehr wertvolle Bücher zum Umgang mit Kindern, mit Erklärungen zur Entwicklungspsychologie und Entwicklung der eigenen Identität.

Stellen Sie sich, bevor Sie Kritik an Ihrem Kind üben, die Fragen: Aus welcher Intention heraus tun Sie dies? In welchem Zustand sind Sie selbst gerade? Kennen Sie ähnliche Reaktionen Ihrer Eltern aus Ihrer Kindheit?  Wie hätten Sie sich als Kind gefühlt, so angesprochen zu werden und was hätten Sie sich stattdessen gewünscht?

Zuletzt möchte ich noch eine weitere - leider sehr häufige- Form des emotionalen Missbrauchs von Kindern ansprechen. Und zwar die Parentifizierung. Dies ist der Fall, wenn die Grenzen zwischen der Rolle der Eltern und des Kindes verschwimmen. Das Kind wird damit beauftragt Aufgaben der Erwachsenen innerhalb der Familie zu übernehmen oder wird unbewusst gezwungen die emotionalen Bedürfnisse der Eltern zu erfüllen, oft auf Kosten seiner eigenen Bedürfnisse und Entwicklung. Beispiele hierzu wären die 8jährige Tochter, die ihre weinende Mutter, welche ihre Probleme an das junge Mädchen heranträgt, tröstet; Kinder die anstelle ihrer Eltern ihre jüngeren Geschwister physisch oder emotional versorgen müssen; bei alleinerziehenden Müttern kann es dazu kommen, dass das Kind unbewusst als Partnerersatz fungiert und Bedürfnisse des Elternteils nach Nähe und Liebe erfüllen soll.

Auch die emotionale Vernachlässigung des Kindes, das fehlende Einstimmen auf die Bedürfnisse des Kindes oder das Ignorieren des Kindes und dessen Bedürfnissen und Interessen belastet die Psyche des Kindes sehr. Beispiele hierzu wären, das häufige offene Ignorieren und/oder Ablehnen oder Herabsetzen der Begeisterung des Kindes für dessen Interessen, welche das jeweilige Elternteil nicht teilt. Darüber hinaus das frühe und häufige Alleinlassen des Kindes ohne erwachsenen Ansprechpartner oder häufiges und viel zu frühes Abgeben der Betreuung an Dritte. Dies führt zu Gefühlen von Isolation, Unsicherheit und einem geringen Selbstwertgefühl, das mit verschiedenen Strategien kompensiert werden muss. Die Folge können unterschiedliche Störungen sein, wie Süchte, ein kaum zu stillender Geltungs- und Leistungsdrang in der Kindheit und vor allem später im Erwachsenenalter, schwere depressive Episoden im Laufe des Lebens der Betroffenen, Angst- und Panikstörungen aufgrund eines tiefliegenden Verlassenheitsgefühls und weiteren psychischen und sowie physische Störungen. 

Hier eine kleine Auswahl an meines Erachtens nach sinnvoller Literatur für Eltern:

Achtsame Kommunikation mit Kindern, Daniel J. Siegel & Tina Payne Bryson

Lieblosigkeit macht krank, Gerald Hüther

Kinder vor seelischen Verletzungen schützen, Peter A. Levine & Maggie Kline

Werdenden Eltern empfehle ich das sogenannte Safe-Programme von Karl-Heinz Brisch:

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